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c) Weg von den Patterns - die kleine Band in der Gitarre

 

Vorwort
Da ich völliger Autoddakt bin und nie auch nur eine einzige Unterrichtsstunde genommen habe, beschreibe ich alles, was folgt, nicht vom Standpunkt eines Lehrers oder musikpädagogischen Überlegungen heraus. Vielmehr schreibe ich meine eigenen Erfahrungen nieder. Ich gebe auf diese Weise das wider, was sich für mich in meinem jahrzehntelangen "Selbststudium" als wesentlich darstellt, in der Hoffnung, daß es Leuten, die Tips gebrauchen können, etwas nützt und sie auf ihrer musikalischen Reise mit der Gitarre weiter bringt.

Also denn: Die Reise aus dem Wald der Zupfmuster in den unendlichen Ozean der solo-Arrangements beginnt.

Warum kann  man sich nicht einfach mit Zupfmustern begnügen ?
Das kann man tun. Jeder muß für sich entscheiden, was und wie er spielen will. Es gibt aber ein paar Gründe, die dafür sprechen, sich an der solo-Fingerstyle-Gitarre zu versuchen, wie man das wohl heutzutagen nennen würde. Ich gebe einmal ein Beispiel: Ich habe eine Aufnahme mit zwei Gitarren gemacht. Es handelt sich um die alte Ballade "Georgie", ein Lied, das von einem gewissen George Stole (oder Stoole) handelt, der im Jahre 1610 wegen Pferdediebstahls gehängt worden sein soll. Naja, es waren immerhin die Pferde des Königs. Hier ist die Aufnahme (MP3 - 279 KB). Wie man hört, sind die Aufgaben der Instrumente klar verteilt, die eine Gitarre besetzt die Begleitung und das musikalische Fundament, die andere hingegen spielt die Melodie. Und dann, als Gegenpol, Kontrast und Antipode einmal dasselbe Stück für eine einzelne Gitarre arrangiert und zwar so, daß sowohl das harmonische Fundament, als auch die Melodie zu ihrem Recht kommen: Hier ist Georgie mit einer Gitarre gespielt (MP3-304 KB). Ich finde, daß das Grund genug ist, sich von Zupfmustern zu lösen und solche solo-Arrangements zu versuchen. Man kann damit allermindestens eine Liedbegleitung mit einem solchen Solo bereichern oder ein entsprechendes Intro spielen.

Wie kann man sich von den festen Zupfmustern lösen ?
Wie erreicht man diese Spielweise, mit der man zwei Instrumente ersetzen kann, nämlich Begleitung und Solo ? Ich habe hier den Versuch gemacht, einige wesentlichen Elemente so herauszulösen, daß sie leicht erlernbar und "verdaulich" sind. Wenn man damit erst einmal den Anfang gemacht hat und bereit ist, ein wenig zu üben, ist man auf einem guten Weg.

Das erste, was ich lernen und akzeptieren mußte, ist die Tatsache, daß man beim Fingerspiel nicht immer die vollen Akkorde greifen muß. Mit den drei aktiven Fingern und dem Daumen spiele ich regelmäßig drei, maximal vier Saiten gleichzeitig. Dabei handelt es sich nicht um Saiten, die zufällig angeschlagen werden, vielmehr entscheide ich, welche ih spiele. Welchen Sinn soll es also haben, eine Saite zu drücken, die überhaupt nicht angeschlagen wird ? Keinen, eigentlich. Wenn man aber mit dem Akkordspiel (möglichst noch mit Plektrum) anfängt, ist man so sehr an das Greifen des vollen Akkords gewöhnt, daß diese Erkenntnis anscheinend eine Weile reifen muß. Außerdem gibt das Greifen des bekannten und gewohnten Akkordes so ein Gefühl der Vertrautheit und Sicherheit. Davon muß man sich lösen. Beispielsweise kann der G-dur Akkord mit dem Mittelfinger der linken Hand alleine gegriffen werden: Man drückt  die tiefe E-Saite am dritten Bund (G). Mit den Fingern und dem Daumen der rechten spielt man dann G, D, G und H. Die A- und die hohe e-Saite werden ausgelassen. Die übrigen Finger werden auf diese Weise für das Melodiespiel frei. 

Die zweite Erkenntnis ist, die daß Tonleitern ("Skalen", wie manche sagen) oder Fragmente davon in unmittelbarer Umgebung des Akkordes auf dem Griffbrett zu finden sind. Das hatte ich als ziemlicher Anfänger schon recht bald bemerkt, als ich Liedbegleitung mit dem Plektrum spielte. Damals habe ich festgestellt, daß man im Baßbereich passende Melodiefragmente findet, die man in den Akkord einweben kann. Dasselbe Prinzip mache ich mir beim Fingerstyle zunutze, mit dem Unterschied, daß der Baß hauptsächlich die Akkordtöne bringt, die Melodie hingegen im Diskant gespielt wird.

Das erste, was man tun kann, ist daher das gleichzeitige Zupfen von Akkord-Grundtönen (einer Art Baßbegleitung) und von Melodien oder Melodiefragmenten. Dafür habe ich einige Übungen aufgeschrieben, die meines Erachtens leicht zu erlernen und zu spielen sind. Sie sollten eigentlich ein guter Anfang sein. Um die Handhaltung und das Spiel zu zeigen, habe ich die Übungen selber gespielt und meine linke Hand abgefilmt. Daher stehen neben den Noten und der Tabulatur auch jeweils Kurzfilme (AVI-Videos) zur Verfügung, auf denen man sehen kann, wie's gemacht wird. Die Beispiele enthalten so gut wie keine Synkopen, im Vordergrund steht erst einmal die Melodie.

Drei Akkorde, nämlich G-dur, D/F#-dur und C-dur sind in Kombination eine gute Grundlage für eine Vielzahl von Arrangements. Hier also Übungen für G-dur, D-dur und C-dur:

 

Beispiel: Melodie über dem G-dur-Akkord
Beispiel: Melodie über dem D/F#-dur-Akkord
Beispiel: Melodie über dem C-dur-Akkord
 

Das C-dur-Beispiel hat eine kleine Schwierigkeit, wenn man die Tonleiter bis zum g herunter spielen will: Der Mittelfinger wird für das E auf der  D-Saite gebraucht, beinahe gleichzeitig aber muß er das A auf der G-Saite spielen, daher muß er ein wenig "herumhüpfen".

Das ziellose Herumspielen mit dieser Akkordfolge hat zu dem Arrangement von "Me and Bobby McGee" geführt. Jeder der die obigen Übungen spielen kann, sollte auch "Me and Bobby McGee" spielen können. (TAB/Noten hier, MP3-1929 KB hier).

Was tun, wenn die Melodietöne auf dem Griffbrett weit nach oben führen ?
Der Tonumfang in unmittelbarer Nähe der offenen Akkordlage ist nicht allzu groß. Oft kommt es vor, daß die Melodie eines Musikstücks über einige Schläge so weit nach oben geht, daß man die Baßbgleitung, die vom Grundakkord abgeleitet ist, nicht gleichzeitig mit der Melodie spielen kann. Was also in einem solchen Fall tun ? Ich sehe zwei Möglichkeiten. Eine davon besteht darin, das Begleitgerüst für einen Augenblick zu verlassen und die Melodie für ein paar Schläge ohne Akkordfundament zu spielen. Bei "Me and Bobby McGee" ist eine solche Stelle spziell derTeil, bei dem es im Text "Freedom's just annother word" heißt. Es ist sinnvoll und klingt gut, wenn diese Melodieführung zweistimmig ausgeführt wird. Oft wirkt das, was als Behelf gedacht war, dann sogar wie eine Hervorhebung oder dramatische Betonung, die der Melodie besser Geltung verschafft, als es eine durchgehende Begleitung täte.

Dazu habe ich ein kleines Übungsstück geschrieben, das bei jedem Akkordwechsel eine Melodieführung enthält, die den Spieler zum Verlassen des Baßgerüstes und zur zweistimmigen Führung der Melodie "nach oben" zwingt:

 

Beispiel : G, D und C-dur mit Melodiespiel, vorübergehendes Verlassen der Bass-Begleitung
 

Die zweite Möglichkeit besteht darin, sich in höheren Lagen des Griffbretts passende Grundtöne zu suchen, die eine Fortführung des harmonischen Fundaments erlauben. Für eine solche Technik gibt es eine Menge Beispiele, angefangen von Leo Kottke's "Last Steam Engine Train", bei dem der Auftakt schon im 7ten Bund beginnt. Ähnlich verhält es sich mit "Falk Zobel's getting 40 years old blues" ( hier gibts das MP3, 927 KB, hier sind Noten und TAB). Bei einigen Akkorden kann man regelrecht gezwungen sein, so zu spielen, speziell E-dur ist so ein Kandidat. Das merkt man, wenn man sich die folgende Übung anschaut: 

 

 

Beispiel: Melodie über dem E-dur-Akkord

 

Zwar wird nicht unbedingt die untere Lage auf dem Griffbrett verlassen, aber von dem, was beim vollen Akkordgriff gedrückt wird, bleibt irgendwie weniger übrig, als bei den meisten anderen Akkorden.

Abschließend habe ich eine Übung für den A-dur Akkord geschrieben. 

Beispiel: Melodie über dem A-dur-Akkord

 

"The Rest is up to you", würde man  im Englischen sagen. Mit ein wenig Geduld und vor allem Experimentierfreude sollten die in den Beispielen dargestellten Prinzipien den Weg ebnen, eigenständig Arrangements zu entwickeln, und sei es, daß man mit einem ganz einfachen Lied in einer simplen Gestaltung anfängt.

Ein paar weitere Beispiele
Hier gibt es ein Fingerstyle-Arrangement für das alte  Beatles-Stück "Michelle". Das Arrangement hat einige Vorteile für Anfänger: In den ersten sieben Takten kommen keine Synkopen vor. Das bedeutet, daß die Melodie gegenüber der Baß-Begleitung nicht rhythmisch verschoben ist. Alles, was Du tun mußt, ist die Technik zu benutzen, die der in picking pattern 1 verwendet wird.Was das Arrangement noch recht einfach macht, ist der Umstand, daß es an vielen Stellen mit Akkordgriffen in der offenen Position gespielt werden kann.Davon gibt es nur geringfügige Abweichungen im dritten und fünften Takt (bei D und H) . Ich habe die Melodietöne sowohl bei den Noten, als auch in der Tabulatur rot gefärbt, um die Begleitung (Daumen/Baß=Schwarz) von den Melodietönen (Finger/Diskant=Rot) besser abzuheben. Nur bei den Akkorden H7 in den Takten 6 und 7 ist es letztlich gleich, ob sie mit Finger oder Daumen gespielt werden.

Die Gitarrenstimmung ist bei diesem Stück "drop-D". Die tiefe E-Saite wird dafür um einen Ganzton nach D heruntergestimmt.

Hier sind die ersten sechs Takte. Klicke in das Notenbild, um sie in recht langsamer Geschwindigkeit (etwa 80 Schläge pro Minute) zu hören. Das MP3 ist 127 KB groß.

Der achte Takt ist schon ein wenig schwieriger, weil er einige Verschiebungen (Synkopen) der Melodie gegenüber dem Baß enthält. Zwar beginnen Baß und Melodie gleichzeitig, die Baßnoten sind aber viertel, wogegen die erste Melodienote (E) ein achtel ist. Die angewantde Technik ist dieselbe, wie in  picking pattern vier. Die Notenwerte in den folgenden Takten sind zwar teilweise etwas anders, als bei dem erwähnten Pattern, aber das Prinzip ist das gleiche. Ein weiterer Unterschied zur reinen Anwendung von Mustern ist, daß nicht statisch mit einem Akkordgriff gespielt wird. Vielmehr muß im Diskant ein Wechsel von D auf H in der Melodie stattfinden. Dabei kann man mit dem Emoll7-Griff in der offenen Lage beginnen. Wenn die Melodie aber von E über D nach H heruntergespielt wird,. muß der kleine Finger (der das D auf der H-Saite hält) gehoben werden, damit die leere H-Saite gespielt werden kann. Eine weitere etwas vertrackte Stelle ist der Wechsel von G auf F# im neunten Takt (beachte die beiden sechzehntel-Noten). Ich spiele das alles mit dem kleinen Finger. Dabei drücke ich am Anfang des Taktes die e-Saite am zweiten Bund. Dann schiebe ich ihn auf den dritten Bund hoch und ziehe ihn anschließend sofort wieder auf den zweiten Bund zurück. Eines sollte ich noch erwähnen: Die erste Note die auf der Aufnahme zu hören ist, ist die letzte Bote (h) im Notenbild oben. Wenn man mit vier Schlägen einzählt und beim fünften Schlag beginnt, kommt sie bereits beim vierten Schlag.

Und wieder mal: Klicke auf das Notenbild, um das entsprechende MP3 zu hören. Es ist 138 KB groß.

Die letzten vier Takte zeigen die für das Lied so charakteristische Brücke zwischen den Strophen, die gleichzeitig auch das Intro darstellt. Das ganze ist sehr leicht zu spielen, denn es muß immer nur eine Saite gegriffen werden und die Baßnoten werden unisono mit den Diskantnoten angeschlagen.

Klicke auf das Notenbild, um das entsprechende MP3 zu hören. Seine Größe beträgt 90 KB

Ein weiteres Beispiel wäre mein Arrangement von "Homeward Bound". Es verwendet in weitem Umfang die G-dur, C-dur und D/F#-Melodie-Technik, die oben gezeigt wird. Auch gibt es die anscheinend unvermeidliche Stelle, an der die Melodie nach oben "ausbricht", so daß sie für ein paar Schläge in der vorgestellten Technik zweistimmig nach oben geführt wird. (hier sind Noten/TAB,  hier mp3 - 1970 KB). Ich bitte zu beachten, daß das Stück einen Ganzton nach oben transponiert aufgenommen ist (Capo am zweiten Bund).
Auf diese Weise lassen sich sehr viele Stücke und Lieder so arrangieren, daß sie auf der Gitarre solistisch gespielt werden können, nämlich dergestalt, daß über einem "Gerüst", das den Bass und die Akkordlage wiedergibt, die Melodie des Stückes geführt wird. Als Beispiele möchte ich das recht bekannte Lied "Me and Bobby McGee" von Cris Cristofferson, den Somn & Garfunkel-Song "Homeward Bound" und schließlich "As Tears go by" von Jagger/Richards vorstellen, die ich solcherart für Gitarre arrangiert habe.

Die Stücke sind meiner Einschätzung nach nicht allzu schwierig, sondern eher als "noch einfach bis mittelschwer" einzuschätzen:

published 20.08.2001 Me & Bobby McGee
(standard)
C. Cristofferson 
1 Guitar
CF Martin DM 1880  KB
2:03 min
published 20.08.2001 Homeward Bound
(standard)
Paul Simon
Arr. RB
CF Martin DM 1900 KB
1:40 min
Mandolin
           


Schließlich komme ich noch einmal auf die Ballade "Georgie" zurück. Auch ihr sollte man einen Versuch gönnen, weil sie nicht allzu schwierig und sehr schön und melancholisch daherkommt. Es ist zwar einigermaßen leicht zu spielen, hat aber zwei Schwierigkeiten:

1) Der D/F#-Akkord wird nur für zwei Schläge gespielt. Er ist aber für den harmonischen Ablauf wichtig, weil er erst dieses gewisse mittelalterliche Flair hineinbringt. Umso wichtiger ist es, ihn einigermmaßen sauber zu spielen und den Akkord auch in der kurzen Zeit, die er gesapielt wird, deutlich erklingen zu lassen.

2) Die Melodieführung reicht beim zweiten mal, bei dem das E-Moll gespielt wird, sehr weit nach unten. Hier muß mit dem Zeigefinger die D-Saite mit dem gegriffenen E gespielt werden. Daher muß die rechte Hand für einen Augenblick eine Saite tiefer "justiert" werden, denn die D-Saite gehört nörmalerweise zum Baßbereich, der vom Daumen gespielt wird.

(hier gibts die PDF-Datei von "Georgie" mit TAB und Noten)